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Reizdarm

Kijimea: “Wundermittel” gegen Reizdarm?

Das Reizdarmmittel Kijimea verspricht Besserung bei Durchfall, Bauchschmerzen und Blähungen und wirbt sogar mit “99% mehr Lebensqualität”. Aber was ist wirklich dran an den Werbeversprechen? 

Was hilft bei Reizdarm wirklich?

Viele Anbieter locken betroffene Menschen mit Reizdarm mit ĂĽbertriebenen Heilversprechen, aber was kann Ihnen wirklich weiterhelfen? Machen Sie den Test!

100 Millionen Euro für Werbung 

Kurz vor 20 Uhr wird der eifrige Tagesschau-Gucker aufgeklärt: Dank Kijimea sei sie endlich wieder die Alte, sĂĽĂźholzraspelt eine strahlende Seniorin in die Kamera – ganz zur Freude der Enkeltochter an ihrer Seite.

Die beiden sind Teil der 100 Millionen Euro verzehrenden Werbestrategie des Konzerns Naturwohl Pharma, Hersteller des Reizdarmmittels Kijimea. Die Firma verspricht eine massive Besserung bei Reizdarmbeschwerden, mit dem Anspruch, die Ursache der Erkrankung zu bekämpfen. Schon das ist ein wagemutiger Vorstoß: Denn bis heute sind sich führende Forscher gar nicht sicher, was genau die Ursache des chronischen Darmleidens ist (Siehe dazu unseren Artikel zu den Ursachen des Reizdarms).

Was ist B. bifidum und wie wirksam ist es? 

Kijimea beruft sich bei der “Ursachenheilung” auf die Wirksamkeit des neu entdeckten Bifido-Bakterienstammes B. bifidum MIMBb75,

Kijimea beruft sich bei der “Heilung” auf die Wirksamkeit des neu entdeckten Bifido-Bakterienstammes B. bifidum MIMBb75, der die geschädigte Darmbarriere bei Reizdarmpatienten reparieren, und so ihre Symptome beseitigen soll.

Das ist ein wagemutiger VorstoĂź: Denn bis heute sind sich fĂĽhrende Forscher gar nicht sicher, was genau die Ursache des chronischen Darmleidens ist (Siehe dazu unseren Artikel zu den Ursachen des Reizdarms).

Nun kann die Schädigung der Darmwand zwar durchaus Teil des Reizdarmsyndroms (RDS) sein, Forscher haben aber noch ganz andere Ursachen im Blick, zum Beispiel überaktive Immunzellen. Doch der Darmwand-Vorwand ist nur die Spitze des Beweisberges, den Kijimea zu Unrecht in seine Dienste stellt.1

Was hilft bei Reizdarm weiter?

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Studie weist viele Probleme auf

Kijimea steht bereits seit seinem Erscheinen vor ein paar Jahren bei Experten in der Kritik. Hauptangriffspunkt ist die Studie, mit der der Hersteller versucht, die Wirkung seines Präparats zu belegen. Problematisch dabei ist zunächst der Singular. Alles stĂĽtzt sich auf eine Studie – und diese wurde auch noch von Naturwohl selbst finanziert.

Darin beteuern die Forscher, der neue Bakterienstamm habe 47% der Verumgruppe (der Teil der Patienten, die das tatsächliche Mittel bekommen haben) eine “adäquate Besserung” im Bereich Bauchschmerzen und Lebensqualität verschafft – im Gegensatz zu 11% in der Kontrollgruppe (die einen Placebo bekamen).

Eine Besserung von dem beworbenen Durchfall oder Verstopfung taucht in der Studie nicht auf. Und auch die Rahmenbedingungen der Untersuchung wurden kritisiert: So bestand die getestete Patientenzahl nur aus 60 Personen über einen Zeitraum von vier Wochen. Beide Zahlen sind zu gering, um wirklich aussagekräftig zu sein.

Kurzum: Die Studie beweist im Grunde gar nichts, und folgerichtig wurde der von Naturwohl so bejubelte neue Bakterienstamm auch seit 2011 in keiner weiteren Untersuchung erwähnt.2, 3

Ă–ko-Test warnt 

Die Kritik an dem umstrittenen Reizdarmmittel nahm dementsprechend in den vergangenen Monaten zu. Vor etwas mehr als einem Jahr warnte dann auch Stiftung Öko-Test: Kijimea habe keinen Nutzen bei RDS, Note: “Mangelhaft”.

Der Grund für die nichtsdestotrotz hohe Verbreitung des “Nicht-Arzneimittels” (Deutsche Apotheker-Zeitung) liegt derweil nach wie vor in der aggressiven Werbekampagne, die Naturwohl für sein Flaggschiff fährt. Nicht nur vor der Tagesschau begegnet einem Kijimea, auch Internet-Werbung und Aufsteller in Apotheken beweihräuchern die Wirkung des neuen Bifido-Bakteriums.

Experten befürchten, dass der exklusive Verkauf von Kijimea in Apotheken das Mittel in den Dunstkreis “echter” Medikamente schieben würde. Dadurch vertrauten Kunden dem Produkt automatisch mehr.4, 5

Fazit: Wirkungsloser Kassenschlager 

Kijimea macht in der Werbung eine gute Figur – aber auch nur dort. Der hochgelobte neue Bifido-Bakterienstamm hat bei Reizdarm leider nicht die Durchschlagskraft, die ihm der Hersteller nachsagt. Also: Geld sparen und Finger weg.

Wer nach natĂĽrlichen Heilstoffen fĂĽr seine Reizdarmbeschwerden sucht, ist an anderer Stelle besser aufgehoben. 

Aktuell: CBD Ă–l bei Reizdarm? Studien machen Hoffnung, mehr dazu unter: www.reizdarmselbsthilfe.org/cbd-reizdarm

CBD: NatĂĽrliche Alternative zu Kijimea?

CBD Reizdarm

CBD ist nicht nur irgendeine Alternative zu Kijimea, sondern ein Wirkstoff, der auch tatsächlich Abhilfe schaffen kann. Die Studienlage ist hier wesentlich klarer: In den letzten Jahren haben Wissenschaftler aus mehreren Ländern der Welt bestätigt, dass der nicht-psychoaktive Stoff der Cannabis-Pflanze, CBD, einen entspannenden und schmerzlindernden Effekt bei Reizdarm-Syndrom hat.

Der Grund dafĂĽr liegt bei zwei Rezeptoren in unserem Darm. Wie genau und warum das funktioniert, erfahren Sie in unserem Artikel zu CBD & Reizdarm.      

Renate Becker – Reizdarmselbsthilfe

Renate Becker

GrĂĽnderin reizdarmselbsthilfe.org

Frau Becker hat das Selbsthilfe-Portal „Reizdarmselbsthilfe“ gegründet und freut sich auf Ihre Fragen und Kommentare an info[at]reizdarmselbsthilfe.org.


Verwendete Literatur und weitere Quellen

  • 1 https://kijimea.de/fachkreise-reizdarm-fachinformation/https://kijimea.de/fachkreise-reizdarm-fachinformation/
  • 2 https://www.youtube.com/watch?v=W2nAqf0Uw10
  • 3 https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/j.1365-2036.2011.04633.x
  • 4 https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/pharmazie/reizdarmmittel-oeko-test-kritisiert-pflanzengifte/
  • 5 https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2018/09/28/carmenthin-und-buscopan-sehr-gut-bei-reizdarm